Die Fragen stellte Thorsten Schulte im Dezember 2024
Herzlichen Glückwunsch zu Deinem neunten Meistertitel. Das letzte Mal Champion warst du 2016.
Wie fühlt sich der Titel nach dieser Durststrecke an?
Urs:
Dank Dir, Thorsten! Tippmeister zu sein fühlt sich natürlich toll an.
Erst recht, da ich die letzten Jahre ja größtenteils in der 2. Liga verbracht habe und dabei auch im Besitz der Roten Laterne war.
Hast du etwas an deiner Tippstrategie verändert?
Urs:
Ja, habe tatsächlich etwas verändert. Wie gesagt hatte ich viel Zeit in den unteren Regionen der Tipliga verbracht.
Matthias Winter hat dann vor eineinhalb Jahren Christian Hock in die Tipliga geholt, und beide gingen auch gleich richtig ab.
Sie haben mich irgendwie motiviert, ich wollte da unbedingt mithalten. Und da ich kein Pay-TV habe und mir auch kaum die Sportschau ansehe,
habe ich angefangen, die Spielberichte im Online-Kicker zu lesen. Das ist natürlich ziemlich zeitintensiv,
aber man erhält so Einblicke in die Stärken und Schwächen der Mannschaften und deren Spielweise und Taktiken.
Ich glaube, das hat mir geholfen.
Die Tipliga feiert in diesem Jahr ihr sage und schreibe 40. Jubiläum. Im Rückblick eine wahnsinnig lange Zeit,
gerade weil sich heute die Welt immer schneller dreht und Gemeinschaften oft nur kurzlebig sind. Da kann man auch stolz darauf sein, oder?
Urs:
Das ist wirklich eine schöne Sache, und die lange Tradition macht die Tipliga zu etwas Besonderem.
Das geht aber nur, weil so viele Tipper seit so vielen Jahren treu dabei sind. Dafür möchte ich mich bei der Gelegenheit einmal von Herzen bedanken! Vor allem auch bei denen, die nur selten Erfolg haben oder sich weitestgehend in der 2. Liga aufhalten. Sie sind die wahre Seele der Tipliga!
Wie fing das vor 40 Jahren alles an? Damals gab es kein Internet, kaum Live-Übertragungen im Fernsehen,
über Fußball konnte man sich fast ausschließlich im Kicker informieren. Erzähle doch mal aus dem Nähkästchen?
Urs:
Stefan Eiche hat damals in der Schule einen Ordner angelegt, in den wir jede Woche unsere Fußballtipps eingetragen haben,
eigentlich genauso wie heute, nur halt per Hand. Damals auch schon mit 27 Spielen pro Tipptag.
Das hat sich dann über die Jahre vergrößert und entwickelt – weit über die Schulklasse hinaus.
Später gab es dreimal pro Tipprunde Tipphefte mit allen Zwischen- und Endständen, Kommentaren, Berichten,
und natürlich den zu tippenden Spielen. Die Tipps wurden dann erst bei mir zuhause, bei meinen Eltern, in den Briefkasten geworfen.
Später dann bei Matthias Ruhr. Dort am Briefkasten hingen dann auch wöchentlich die aktuellen Stände aus.
Die Tipps mussten einzeln in den Tippordner übertragen werden. Später habe ich ein Excel-Sheet programmiert,
dadurch wurde es für Matthias etwas einfacher. Also wenn ich das jetzt so im Nachhinein bedenke, ist das eigentlich kaum zu glauben.
Auch, dass die ganzen Tipper immer schön zum Briefkasten gefahren sind und jede Woche ihre Tipps eingeworfen
oder sie per Telefon durchgegeben haben, Wahnsinn! Mit dem Internet wurde alles natürlich einfacher und professioneller,
das Internet ist ja wie geschaffen für die Tipliga. Wer noch mehr Interesse an der Geschichte der TIPS hat,
kann sich auch die Webseite
» 40 Jahre Tipliga
anschauen.
Heute kommen die Mitglieder der Tipliga aus unterschiedlichsten Bereichen und Altersklassen –
wie hat die jüngere Generation die TIPS verändert?
Urs:
Ich habe eigentlich nicht den Eindruck, dass sich durch die jüngere Generation irgendwas verändert hat.
Ich bin total froh, dass die mitmachen und finde, sie sind eine wahre Bereicherung.
Es macht die Tipliga ja noch interessanter, wenn Tipper aus mehreren Generationen dabei sind.
Im Frühjahr musste die Tipliga einen schweren Schicksalsschlag verkraften. Mitorganisator Alex Bülow ist überraschend verstorben.
Er was auch ein guter Freund von uns.
Urs:
Du sagst es Thorsten, das war ein wirklich schwerer Schlag! Ich kannte Alex schon im Kindergarten,
war mit ihm lange in einer Klasse und habe viele Jahre mit ihm die Tipliga organisiert.
Deshalb war ich auch mehrmals jährlich bei ihm in Berlin.
Ich kann es eigentlich noch immer nicht fassen und denke ziemlich oft an ihn. Aber das geht ja nicht nur mir so,
sondern einigen Menschen hier in der Tipprunde.
Da hast Du recht. Wir hatten mit Alex ja auch eine gemeinsame wöchentliche Skatrunde.
Wahrscheinlich kannten ihn die meisten Tipper in den letzten 25 Jahren, alleine über die Finanzen.
Wie schwer war es danach, die Tips weiterzuführen? Oder stand es für dich nie zur Debatte, einen Schnitt zu machen?
Urs:
Nein, die Tipliga nicht weiterzuführen stand nie zur Debatte. Und so viel schwerer ist es eigentlich auch nicht – außer,
dass ich auch noch die Finanzen mache. Leider kann ich mich jetzt kaum noch mit jemandem über die Tipliga austauschen.
Ich bekomme sehr wenig Resonanz und tappe ziemlich im Dunkeln. Wenn ich Zeit habe, sollte ich mal wieder eine große Umfrage machen.
Wirklich ungünstig ist leider auch, dass ich noch immer keinen Zugang zum Server und auch keinen zu unserem Bankkonto habe.
Ich hoffe, das ändert sich bald.
„Back to Sports“. Und damit zur obligatorischen Frage: Was werden die Offenbacher Kickers in dieser Saison erreichen?
Urs:
Auch wenn ich das vermutlich bei meinen vorherigen Interviews auch gesagt hatte:
Ich finde, die Kickers sind momentan auf einem sehr guten Weg.
Trainer und Sportdirektor sind nun seit eineinhalb Jahren da und man lässt sie in Ruhe arbeiten,
obwohl die letzte Saison grauenvoll war. Aber diese Kontinuität zahlt sich aus, die Mannschaft spielt guten Fußball.
Offensiv sieht man kreative Lösungen, Schüsse aus der zweiten Reihe und gefährliche Standards.
Alles Dinge, die man jahrelang vermisst hatte. Die Neuzugänge sind in dieser Saison allesamt Verstärkungen
und offensichtlich hat man bei der Auswahl auch auf Mentalität gesetzt.
In Offenbach ist der Druck immer extrem. Jedes Spiel muss gewonnen werden,
mit einem Unentschieden auswärts sind die wenigsten Fans zufrieden, warum auch immer.
Meines Erachtens sind die Kickers-Mannschaften in den letzten Jahren an diesem wahnsinnigen Druck zerbrochen
und ich glaube, dass die jetzige Mannschaft da mental besser aufgestellt ist.
Jedenfalls sollten wir an diesem Konstrukt festhalten, auch wenn wir nicht aufsteigen, was ja eigentlich undenkbar ist ...
Was geht in der Bundesliga? Werden Leverkusen und Stuttgart wieder aufs Normalmaß gestutzt? Welche Trends erkennst du?
Urs:
Die Bundesliga ist, von den Namen der Mannschaften her, momentan so unattraktiv wie nie zuvor,
wer will da schon mitspielen?
Traditionsclubs mit vielen emotionalen Fans scheinen es derzeit schwerer zu haben als Vereine mit geringer Fanbasis,
in denen Mäzene freie Hand haben.
Was sich über die Jahre auch verändert hat, ist die Berichterstattung in der Sportschau.
Früher wurden längere zusammenhängende Spielszenen gezeigt und ein Tor höchstens einmal wiederholt.
Heute wird jedes Tor vier- bis fünfmal gezeigt und auch jede (Halb-)Chance wiederholt.
Der Rest handelt von Aufnahmen der Trainer, der Frage nach Abseits oder Foul und nichtssagenden Spielerinterviews.
Taktikfragen, Spielweise oder tiefergehende Einblicke in das Spielgeschehen erhält man kaum noch.
Der Informationswert geht gegen Null – und das bei einem öffentlich-rechtlichen Sender.
Gleichgeblieben ist die wachsende finanzielle Kluft zwischen den Bayern und dem Rest,
weshalb die Bayern die Bundesliga auch in Zukunft dominieren werden.
Ansonsten schreitet international die Kommerzialisierung wie gehabt voran.
In der sogenannten Champions League spielen Mannschaften mit, die in der 2. Bundesliga kein Land sehen würden,
dazu Conference League, WM mit 48 Mannschaften und nun auch noch die FIFA-Club-WM.
Aber auch wenn viele seit langer Zeit sagen, dass das in die falsche Richtung läuft:
Wir sind alle trotzdem immer noch dabei, das ist ja auch bemerkenswert.
Offensichtlich ist und bleibt der Fußball der viel zitierte „Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält“,
und das ist ja doch auch schön so.
Vielen Dank!